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von Dr. med. Konstantin Wagner

28.11.2024

Wechseljahre und Psyche

Bist du in den Wechseljahren und kennst Symptome wie brain fog (= Nebel im Gehirn) oder plötzliche Stimmungsschwankungen von gerade noch heiter, bist du plötzlich nachdenklich und gereizt oder hast gar einen Wutausbruch? Anders als Hitzewallungen ist weniger bekannt, dass auch psychische Symptome durch die anfänglichen Hormonschwankungen und dann den Hormonmangel in den Wechseljahren ausgelöst werden können. Welche Symptome typisch sind und warum du diese haben kannst, schauen wir uns in diesem Beitrag genauer an.

1. Östrogenrezeptoren im Gehirn

Es gibt zwei Haupttypen von Östrogenrezeptoren: ERα (Estrogen-Rezeptor alpha) und ERβ (Estrogen-Rezeptor beta). Beide werden in verschiedenen Regionen des Gehirns exprimiert, darunter der Hippocampus, die Amygdala, der Hypothalamus und der präfrontale Kortex.

Wirkung von Östrogenrezeptoren:

  • Neuroprotektive Wirkung: Östrogen schützt Neuronen vor Schädigungen durch oxidativen Stress und Entzündungen. Es reduziert den Zelltod und fördert die Regeneration neuronaler Zellen.
  • Kognitive Funktionen: Östrogen verbessert Gedächtnis und Lernprozesse, vor allem im Hippocampus, der für das Langzeitgedächtnis wichtig ist. Es beeinflusst die neuronale Plastizität, indem es die Bildung neuer Synapsen und die Signalübertragung zwischen Nervenzellen unterstützt.
  • Stimmungsregulation: Östrogen wirkt auf Neurotransmittersysteme wie Serotonin und Dopamin, die entscheidend für die Regulierung von Stimmung und Emotionen sind. Ein Mangel an Östrogen (z.B. in der Menopause) kann mit Depressionen und Angstzuständen assoziiert sein.
  • Sexuelle Funktion und Libido: Im Hypothalamus spielt Östrogen eine Rolle bei der Regulation von Fortpflanzungsverhalten und der Libido, indem es die Ausschüttung von Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH) beeinflusst.
2. Progesteronrezeptoren im Gehirn

Progesteronrezeptoren, die in vielen Gehirnregionen, wie dem Hypothalamus, dem Hippocampus und der Amygdala vorkommen, wirken vor allem neuroprotektiv und regulieren emotionale und kognitive Funktionen.

Wirkung von Progesteronrezeptoren:

  • Neuroprotektion: Progesteron hat eine stark schützende Wirkung auf das zentrale Nervensystem. Es fördert die Myelinisierung, das heißt die Bildung der Schutzhüllen um Nervenzellen, was für eine effiziente Signalübertragung essenziell ist. Außerdem schützt Progesteron Neuronen vor Schädigungen und hilft, Schäden zu reparieren, etwa nach einer Verletzung oder einem Schlaganfall.
  • Stimmungsregulation: Progesteron beeinflusst das GABA-System, das wichtigste hemmende Neurotransmittersystem im Gehirn. Dadurch hat Progesteron eine beruhigende und angstlösende Wirkung. In der zweiten Zyklushälfte, wenn die Progesteronspiegel steigen, kann dies zu Veränderungen der Stimmung führen.
  • Gedächtnis und Lernen: Progesteron wirkt oft gegensätzlich zu Östrogen in Bezug auf kognitive Funktionen. Es kann das Gedächtnis und die Lernleistung in bestimmten Phasen des Menstruationszyklus beeinflussen.
  • Schwangerschaft und Fortpflanzung: Während der Schwangerschaft moduliert Progesteron die Funktion des Hypothalamus, um den Körper auf die Geburt und Stillzeit vorzubereiten. Es reguliert auch die Körpertemperatur und das Schlafverhalten.
Welche Symptome kann ich haben?
  • Sogenannter „brain fog“ (= Nebel im Gehirn), kognitive Einschränkungen: Merkfähigkeits- und Konzentrationsstörungen, Schwierigkeiten beim Lernen und im verbalen Gedächtnis
  • Reizbarkeit
  • Diffuse Ängste
  • Lähmende Traurigkeit
  • Stimmungsschwankungen (von gerade noch heiter, kann die gute Stimmung plötzlich kippen zu Nachdenklichkeit, Gereiztheit, Angst oder Wutausbrüchen)
  • Depressive Verstimmung
  • Depression (typische Symptome: Demotivation und Antriebslosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Zukunftsängste, allgemeine Erschöpfung, unklare oder stärkere Ängste und Panik, fehlendes Interesse an der Welt, Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafstörungen, negatives Selbstbild, diffuse Schmerzen, Appetitlosigkeit, Libidoverlust, Traurigkeit)
Wie ist die Studienlage?

Studien belegen, dass die Veränderungen des weiblichen Hormonhaushalts rund um die Menopause das Risiko für depressive Störungen signifikant erhöhen. Über die gesamte Zeit der Wechseljahre (Klimakterium, ca. 8 Jahre) weisen Frauen ein um etwa 2,5-fach erhöhtes Risiko für die Diagnose von depressiven Störungen auf als in den Jahren davor.

Andere Ergebnisse zeigen, dass Frauen, die früh ihre Menstruation bekommen oder hormonell verhütet haben und Frauen, die erst verhältnismäßig spät in die Wechseljahre kamen, ein geringeres Risiko haben, an einer Depression zu erkranken.

Forschungen ergaben weiterhin, dass Frauen, die unter Hitzewallungen oder Schweißausbrüchen litten, eher depressiv wurden als Frauen, die keine dieser Symptome zeigten.

Noch keine eindeutige Studienlage, aber Hinweise darauf, dass Östrogenmangel Alzheimer begünstigen kann (Östrogen verhindert Entstehen von Plaques, „böse“ Blutfette werden gesenkt)

Warum habe ich die Symptome?
  • Schuld daran sind in erster Linie die Hormone, allen voran das Östrogen
  • Östrogenlevel fällt im Verlauf der Wechseljahre drastisch und schlägt uns sprichwörtlich auf die Stimmung
  • Auch Schlafmangel durch Schlafstörungen, die ebenfalls hormonell bedingt sein können, können auf die Stimmung schlagen (weiß man vielleicht, wenn man überlegt, wie sich der Schlafmangel, als die Kinder noch klein waren, auf die Psyche ausgewirkt hat)
  • Insbesondere die radikalen Veränderungen der Hormone sind verantwortlich
  • Neben den hormonellen sorgen auch die emotionalen Herausforderungen der Wechseljahre für Melancholie: So belastet viele Frauen beispielsweise die Tatsache, das mit den Wechseljahren die Zeit der Fruchtbarkeit endet. Es kann sein, dass du dich unattraktiv fühlst in einer Gesellschaft, in der Jugend und Optimierung kultiviert werden. Da passen die naturbedingten Veränderungen des weiblichen Körpers nicht richtig dazu.
  • ABER: Die Ursachen für eine Depression sind verschieden und immer komplex (multifaktorielles Zusammenspiel). Das heißt, ein Grund allein, wie beispielsweise eine genetische Disposition, reicht nicht, um eine Depression auszulösen. Im ungünstigsten Fall kommen mehrere Faktoren zusammen. Deshalb ist auch eine eingehende Diagnostik immer elementare Bedingung für Therapieentscheidung und für die Heilung.
  • Mögliche andere Ursachen für Depressionen in den Wechseljahren: genetische Veranlagung, neuronale Störungen, psychosoziale Einflüsse, Umweltfaktoren oder biographische Ereignisse wie plötzliche Arbeitslosigkeit oder Tod eines nahen Verwandten, zu viel Stress oder Überforderung, reaktivierte Traumata aus der Kindheit, Nebenwirkungen von Medikamenten, aber auch Krankheiten wie Stoffwechselstörungen
Was passiert in den Wechseljahren?

Beginn der Wechseljahre: 

  • Progesteron fällt ab – zwar langsam, aber stetig
  • Die Folge: Östrogen dominiert
  • Einige Frauen bemerken nichts, andere nehmen das abnehmende Progesteron negativ wahr
  • Funktionen Progesteron: Aufbau der Gebärmutterschleimhaut, Erhaltung des Immunsystems und Steuerung psychoscher Funktionen als Botenstoff: lockert, dämpft und entspannt, macht dich resistenter gegen Stress, bringt Ruhe und Entspanntheit
  • Fehlt Progesteron gerät der Zyklus leichter ins Schwanken und die Stimmung kippt schneller plus Schlafstörungen können auftreten

Rund um die Menopause:

  • Östrogen setzt zum Sinkflug an
  • Funktionen von Östrogen: fördert Durchblutung und senkt den Cholesterinspiegel, hemmt den Abbau von Knochen und fördert die Stabilität, Regeneration, Durchblutung und Elastizität der Haut, sorgt für gute Stimmung, du fühlst dich energiegeladen und hast sprichwörtlich „Lust aufs Leben“, sorgt für positive Stimmung, Vitalität und sexuelle Lust
  • Östrogene und insbesondere das Estradiol greifen auch in den Serotonin-Dopamin-Stoffwechsel ein: Estradiol beeinflusst so unter anderem die Verfügbarkeit des Glückshormons Serotonin
  • Serotonin steuert essenzielle kognitive Prozesse, wie die Vernetzung und Kommunikation der Synapsen, federt Stress ab, reduziert Ängstlichkeit und wirkt aktivierend
  • Fällt der Östrogenspiegel, macht auch das Serotonin schlapp, der Eisprung bleibt aus, die Haut- und Schleimhäute trocknen aus und du kannst dich antriebslos fühlen und die Stimmung kann schwanken

Menopause:

  • Östrogen und Progestern erreichen ihren Tiefstand
  • Folge: Kein Eisprung, keine Regelblutung und kein Zyklus
  • Vielen Frauen macht allein die Tatsache, nicht mehr fruchtbar zu sein, zu schaffen in einer Gesellschaft, die sich der ewigen Jugend und Schönheit verschrieben hat

Postmenopause:

  • Hormone regulieren sich auf niedrigem Niveau bis sie schließlich zu einer neuen Stabilität gelangen
  • Auch in dieser Phase können aufgrund des Hormonmangels noch Depressionen auftreten
  • Andere typische Symptome: Gelenkschmerzen, Libidoverlust, Haar- und Hautprobleme, Osteoporose
Was hilft dagegen – Hausmittel und Schulmedizin

Erste Stufe der Möglichkeiten, wie du deinen Beschwerden entgegenwirken kannst:

  • Vorbeugen durch gesunde Ernährung: frische, vitaminreiche Kost, zubereitet mit ungesättigten Fettsäuren und hochwertigen Ölen
  • Verzicht auf industriellen Zucker
  • Vitamine wie Vitamin D (Das Sonnenvitamin heitert deine Stimmung auf, stabilisiert das Immunsystem und fördert die Aufnahme von Kalzium in die Knochen – eine vorbeugende Eigenschaft gegen Knochenschwund (Osteoporose)), B12, Magnesium oder Zink
  • Probiotika: Darmbakterien können helfen die Dopaminproduktion im Gehirn anzukurbeln und so die Stimmung positiv beeinflussen.
  • Neue Hobbies wie z. B. Tanzen, Musik, Tiere oder Kunst: Die Möglichkeiten sind vielfältig und für jede sollte das Passende zu finden sein
  • Einsatz einer Tageslichtlampe
  • Sport, auch und vor allem im Freien und an der frischen Luft: mindestens 2x/Woche, euphorisierender Einfluss von Joggen, Schwimmen oder Radfahren (Freisetzen von Endorphinen, „Endorphin-Kick“), Relaxen mit Hilfe von Yoga, Meditation und Entspannungstechniken wie autogenem Training 
  • Pflanzliche Heilmittel: Stimmungsaufheller Johanniskraut, beruhigend wirken Passionsblume, Baldrian und Hopfen. Bevorzuge am besten hochdosierte Präparate aus der Apotheke.
  • Achte auf ausreichenden Schlaf
  • Warme Bäder oder Saunagänge können sich beruhigend auf die Psyche auswirken.
  • Sorge für ein stabiles und loyales soziales Umfeld, das dich unterstützt.

Schulmedizin: 

  • Antidepressiva
  • Hormonersatztherapie mit bioidentischen Hormonen

Wichtig ist aber:

  • Es sollte immer geschaut werden, ob es sich um eine depressive Phase verursacht durch die Kapriolen der Hormone oder um eine ernstere seelische Erkrankung handelt.
  • Keine (alleinige) Hormonersatztherapie, sondern spezifische bio-psycho-soziale Ursachensuche und zielgerichtete Behandlung.
  • Die Wirksamkeit einer antidepressiven Therapie wird weder durch das Alter noch durch die Lebensphase oder eine gleichzeitige Hormontherapie beeinflusst.
  • Frauen, die über Depressivität unabhängig von Hitzewallungen klagen, sollten eine psychodiagnostische Abklärung und entsprechend der Symptomschwere psychotherapeutische und/ oder pharmakologische antidepressive Therapie erhalten.
  • Die wirksamste Behandlung von Ängsten in Peri- und Postmenopause ist die kognitive Verhaltenstherapie.
  • Eine differenzierte Diagnostik von psychopathologischen Symptomen in den Wechseljahren ist wichtig, um vorschnelle Rückschlüsse auf hormonelle Zusammenhänge vermeiden.
Quellen:


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Dr. med. Konstantin Wagner

Hallo, ich heiße Konstantin und bin Facharzt für Gynäkologie und Geburtsmedizin. Nach meinem Medizinstudium in München habe ich von 2015 bis 2020 in einer maximalversorgenden Klinik in Kassel gearbeitet. Dort hatte ich es mit unzähligen spannenden Fällen zu tun, betreute hunderte Geburten und sammelte einen großen medizinischen Erfahrungsschatz. Seit 2020 widme ich mich der niedergelassenen Tätigkeit in meiner eigenen gynäkologischen Praxis in Kassel.

Im Kon­takt mit mei­nen Pa­ti­en­tin­nen wur­de mir be­wusst, wie schwer es me­di­zi­ni­schen Lai­en oft fällt, ech­te Fach­in­for­ma­tio­nen von My­then und In­ter­net-Pa­nik­ma­che zu un­ter­schei­den. Ich habe es mir da­her zur Auf­ga­be ge­macht, fun­dier­tes Wis­sen zu mei­nen Fach­ge­bie­ten zur Ver­fü­gung zu stel­len – in ver­schie­dens­ten For­ma­ten so­wie auf nach­voll­zieh­ba­re und kurz­wei­li­ge Wei­se.