
von Dr. med. Konstantin Wagner
18.10.2024
STOPP – mein Körper gehört mir!
Ein „NEIN“ des Kindes kann uns Eltern manches Mal vor große Herausforderungen stellen. Und doch ist dieses NEIN von enormer Bedeutung für den Schutz der eigenen Grenzen. Doch wie kann man Kinder auf die Herausforderungen des sozialen Lebens vorbereiten?
Kinder stärken – Stück für Stück
Im Leben läuft nicht alles wie am Schnürchen. Das ist leider auch schon im Kindesalter der Fall. Vor allem in sozialen Interaktionen müssen Kinder unzählige Konflikte lösen und erfahren verbale Verletzungen – im schlimmsten Fall kann es sogar zu körperlichen Übergriffen kommen. Für all diese Situationen ist es essentiell, dass Kinder lernen, für sich einzustehen.
Welche Rolle spielen die Eltern beim Thema #kinderstärken?
Die Hauptrolle! Denn auf der Entdeckungsreise des Lebens sind Kinder auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen. Insbesondere für kleine Kinder fungieren Eltern als Leitplanken, Vorbilder und Wissensquellen. Ihr Einfluss ist immens! Diese Superkraft sollte genutzt werden, um schon die Allerjüngsten dabei zu unterstützen, sich ein möglichst stabiles mentales Fundament aufzubauen. Denn Selbstschutz ist als Lernprozess zu begreifen und je früher dieser Prozess beginnt, desto besser ist es.
Nun mal ganz konkret: Wie können Kinder Selbstschutz erlernen?
Gehen wir zunächst nochmal einen groooßen Schritt zurück. Denn lange vor der Anwendung konkreter Selbstschutzstrategien muss erstmal ein gesundes Körperbewusstsein etabliert werden. Was ich damit meine? Dass ein Kind schon in ganz jungen Jahren versteht: DAS ist MEIN Körper. DIESE Körperteile gehören dazu. SO heißen die. Und DARÜBER darf ICH bestimmen – und zwar nur ich. Wie dieses Verständnis entsteht?
- Indem wir über alle Körperteile sprechen und sie – auch die Genitalien! – richtig benennen.
- Indem wir selbst darauf achten, die Körpergrenzen des Kindes im Alltag konsequent zu wahren. Du möchtest gerade kein Küsschen? Das ist okay!
- Indem wir uns bemühen, die Grenzen gegenüber anderen Personen im Namen des Kindes zu verteidigen, wenn das Kind sich gerade nicht traut. Der Onkel möchte ihm die Wange tätscheln, du willst das aber nicht? Okay, ich sage es ihm für dich!
- Und was oft vergessen wird: Auch indem wir vorleben, wie wir unsere eigenen Grenzen verteidigen, lernt das Kind, für sich einzustehen. Es macht dir tierisch Spaß, mir in die Brust zu kneifen, aber das tut mir weh? Stopp – ich möchte das nicht! Denn Kinder lernen am Modell.
Wie ist das mit sicherheits-, hygiene- oder gesundheitsrelevanten Handlungen?
Ja, in der Tat müssen die Eltern manchmal Entscheidungen für das Kind treffen, die es selbst aufgrund seines mangelnden Weitblicks im jeweiligen Moment nicht für gut befindet. Das reicht vom Windelwechseln bis zur Medikamenteneinnahme. Aber: Auch und ganz besonders in diesen Fällen ist es enorm wichtig, dass das Nein des Kindes nicht einfach übergangen wird! Vielmehr sollte ihm verständlich gemacht werden, dass der Widerspruch durchaus gehört und verstanden wurde. Gefolgt von einer Erklärung, warum eine gewisse Tätigkeit (z. B. das Anschnallen im Auto oder das Putzen der Zähne) gerade trotzdem unbedingt notwendig ist. Vielleicht findet ihr gemeinsam eine gute Lösung, die die Situation für das Kind angenehmer gestaltet: Die Zähne heute mal im Wohnzimmer putzen? Selbst in den Autositz klettern und beim Anschnallen ein Lied singen? Der Kreativität sind da keine Grenzen gesetzt. Ja, das kann sehr anstrengend sein. Und ja, das klappt vielleicht nicht immer. Aber so blank die Nerven manchmal liegen mögen: Wir sollten uns in solchen Situationen immer wieder vor Augen führen, wie ungemein wichtig es für die Entwicklung des Kindes ist.
Nochmal zum Thema Selbstschutz – kann man den üben?
Nehmen wir an, das Kind weiß jetzt, dass es der/die alleinige Bestimmer*in über den eigenen Körper ist. Dann ist es ein nächster wichtiger Step, dass es lernt, energisch Stopp zu sagen. Die ausgestreckte „Stopp-Hand“ kann dem Widerspruch noch mehr Ausdruck verleihen. Das darf und sollte durchaus im Alltag geübt werden – und zwar gerne auch mit ganz viel Spaß. Vielleicht malt ihr Stopp-Schutz-Schilder, wie es Mathilda und Lasse in Band 3 der Familie Weißbescheid tun? Das ist auch eine tolle Gelegenheit, um verschiedenste Schutzbotschaften und Glaubenssätze zu vermitteln wie „Du darfst dir immer Hilfe holen“. Nur wenn ein Kind tief verinnerlicht hat, dass es völlig okay ist, NEIN zu sagen – auch zu Erwachsenen! – kann es dies u. U. auch im Ernstfall tun.*
Was Klein und Groß generell mitnehmen sollten: Erwachsene haben nicht automatisch recht. Und Kinder – ganz egal, in welchem Alter! – sind vollwertige Individuen, die IMMER eine liebevolle und respektvolle Behandlung verdienen.
*Hinweis: Kinder sind niemals schuld, wenn ihre Grenzen verletzt werden – ganz egal wie laut oder leise ihr STOPP ist. Die Verantwortung liegt immer bei den Personen, die die Grenze überschreiten.
Dr. med. Konstantin Wagner
Hallo, ich heiße Konstantin und bin Facharzt für Gynäkologie und Geburtsmedizin. Nach meinem Medizinstudium in München habe ich von 2015 bis 2020 in einer maximalversorgenden Klinik in Kassel gearbeitet. Dort hatte ich es mit unzähligen spannenden Fällen zu tun, betreute hunderte Geburten und sammelte einen großen medizinischen Erfahrungsschatz. Seit 2020 widme ich mich der niedergelassenen Tätigkeit in meiner eigenen gynäkologischen Praxis in Kassel.
Im Kontakt mit meinen Patientinnen wurde mir bewusst, wie schwer es medizinischen Laien oft fällt, echte Fachinformationen von Mythen und Internet-Panikmache zu unterscheiden. Ich habe es mir daher zur Aufgabe gemacht, fundiertes Wissen zu meinen Fachgebieten zur Verfügung zu stellen – in verschiedensten Formaten sowie auf nachvollziehbare und kurzweilige Weise.