
von Dr. med. Konstantin Wagner
22.11.2024
Brustkrebsrisiko und Stillen
Brustkrebs ist mit ca. 30 % die häufigste Krebserkrankung bei Frauen in Deutschland, daher ist das Potential für die sogenannte Primärprävention beträchtlich. Primärprävention sind alle Aktivitäten, die mit dem Ziel durchgeführt werden, eine Erkrankung vor dem tatsächlichen Entstehen zu verhindern.
Typisches Beispiel: Impfen. Epidemiologische Beweise und plausible biologische Mechanismen stützen die Schlussfolgerung, dass längere Stillzeiten vor der Entstehung von Brustkrebs und möglicherweise auch Gebärmutter- und Eierstockkrebs schützen.
Stillen als präventive Maßnahme – wie wirkt sich stillen auf das Brustkrebsrisiko aus?
Frauen, die ihr Baby über einen längeren Zeitraum stillen, haben gegenüber vergleichbaren Frauen, die nicht stillen, ein geringeres Risiko, im späteren Leben an Brustkrebs zu erkranken.
Je länger eine Frau stillt, desto besser ist sie vor Brustkrebs geschützt.
Eine längere Stilldauer ist linear mit einem geringeren Risiko für Brustkrebs sowohl vor als auch nach der Menopause korreliert (= zusammenhängend).

Das Brustkrebsrisiko sinkt pro 12 Monate Stillen (d.h. die Stillzeiten aller Kinder zusammengerechnet) um ca. 4,3 % zusätzlich zur Risikominderung durch eine Geburt. Ausschließliches Stillen für 6 Monate senkt das Risiko um ca. 2 %. Die geschätzte Risikoreduktion bei jeder Geburt liegt bei ca. 7 %.
Das Brustkrebsrisiko wurde sowohl bei Frauen vor als auch nach der Menopause gesenkt.
Bisher gibt es nur wenige oder keine Studien, die zwischen ausschließlichem Stillen und gemischter Ernährung unterschieden oder die Auswirkungen auf verschiedene hormonelle Brustkrebs-Subtypen beobachtet haben. Bisher veröffentlichte Ergebnisse deuten darauf hin, dass ausschließliches Stillen das Risiko sowohl für östrogenrezeptorpositiven als auch östrogenrezeptornegativen Brustkrebs senken kann.
Die Risikosenkung durch Stillen gilt auch für das Brustkrebsrisiko von Frauen mit genetischer Disposition durch BRCA1-Mutationen.
Nach mindestens 1 Jahr Senkung des Risikos um 32 %, nach 2 Jahren um 49 %. Das entspricht einer Risikominderung von 19 % pro Stilljahr.
Bisher vorhandene Daten deuten ebenfalls darauf hin, dass eine lange Stillzeit auch einen bescheidenen Schutzeffekt auf das Risiko von Gebärmutter- und Eierstockkrebs haben kann.
Weitere interessante Zahlen
UNICEF schätzt, dass eine Erhöhung des Anteils der Frauen, die 6 Monate lang stillen, um 16 % dazu führen könnte, dass jedes Jahr 1,6 % der erwarteten Brustkrebsfälle vermieden würden.
Das Szenario mit dem größten Nutzen (2,9 % vermiedene Brustkrebsfälle) würde sich ergeben, wenn die Zahl der Frauen, die nie gestillt haben, halbiert und die Stillraten für 18+ Monate verdoppelt würden.
Wie trägt Stillen zur Senkung des Krebsrisikos bei?
Der Schutzmechanismus ist nicht ganz erforscht. Vermutlich sind die positiven Auswirkungen auf Veränderungen der Bruststruktur und eine Verringerung der lebenslangen Hormonexposition der Stillenden zurückzuführen.
Brustgewebe besteht hauptsächlich aus Fett, Drüsengeweben (in Lappen angeordnet), Milchgängen und Bindegewebe. Die Brust entwickelt sich als Reaktion auf Hormone, wie Östrogene, Progesteron, Insulin und Wachstumsfaktoren und die Hormonabhängigkeit an sich ist ein bekanntes und wichtiges Merkmal von Brustkrebs.
Verschiedene reproduktive Faktoren wie Stillen, schwangerschaftsbedingte Unterbrechung des Eisprungs und Brustumbau nach dem Abstillen, haben eins gemeinsam: Sie verändern die lebenslange Exposition gegenüber Östrogen und anderen Hormonen und verändern die feingewebliche Struktur (molekulare Histologie) der Brust dauerhaft. Mögliche Erklärungen sind:
- Veränderte Hormonspiegel: weniger Östrogen und Progesteron, mehr Prolaktin
- Sekretion von Östrogenen und Karzinogenen (= Stoffe, die Krebs erzeugen können) aus den Drüsengängen sowie die Differenzierung (= Entwicklung von Zellen oder Geweben von einem weniger in einen stärker spezialisierten Zustand) des Brustgewebes könnten eine Rolle spielen.
- Schwangerschaft bewirkt Umwandlung und Entwicklung des Brustepithels, wodurch die Zellen weniger anfällig für eine maligne Transformation (= Gesamtheit aller biochemischen und genetischen Prozesse, die den Übergang von einer normalen, in ihrem Wachstum kontrollierten Zelle zu einer unkontrolliert wachsenden Tumorzelle, bestimmen) werden.
- Auftreten von langfristigen hormonellen Veränderung nach einer Schwangerschaft, die möglicherweise dazu beitragen, das Risiko zu senken.
- Verringerter periodischer Einfluss von Östrogen/Progesteron auf das Brustgewebe – Stillen verschiebt die Wiederaufnahme des Menstruationszyklus mit Eisprung nach einer Schwangerschaft, senkt den Östrogenspiegel in der Brust und differenziert das Brustgewebe vollständig, wodurch es weniger anfällig für das hormonelle Einflüsse wird.
- Umbau des Brustgewebes während der Laktation und die massive Epithel-Apoptose (= Zelltod) am Ende der Stillzeit könnten auch dazu beitragen, das Krebsrisiko zu senken, indem Zellen mit anfänglicher DNA-Schädigung aus dem Brustganggewebe ausgeschieden werden.
- Schützende epigenetische Effekte durch Stillen (Die Epigenetik ist das Fachgebiet der Biologie, das sich mit der Frage befasst, welche Faktoren die Aktivität eines Gens und damit die Entwicklung der Zelle zeitweilig festlegen.)
- Verstärkte Immunüberwachung im Brustgewebe durch die in Muttermilch enthaltene Mischung aus Immunzellen, Antikörpern und Zytokinen.
- Zyklischer Prozess der Laktation und Involution (= Rückbildung), der durch Gewebeumbau und Expression bestimmter Gene gekennzeichnet ist, kann außerdem zur Beseitigung präkanzeröser (= schon veränderte Zellen, die aber noch kein Krebs sind, Krebsvorstufen-Zellen) Zellen und zur Stärkung der genomischen Integrität beitragen.
Wie du sonst noch dein Brustkrebsrisiko senken kannst, erfährst du in diesem Video:
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Quellen:
Dr. med. Konstantin Wagner
Hallo, ich heiße Konstantin und bin Facharzt für Gynäkologie und Geburtsmedizin. Nach meinem Medizinstudium in München habe ich von 2015 bis 2020 in einer maximalversorgenden Klinik in Kassel gearbeitet. Dort hatte ich es mit unzähligen spannenden Fällen zu tun, betreute hunderte Geburten und sammelte einen großen medizinischen Erfahrungsschatz. Seit 2020 widme ich mich der niedergelassenen Tätigkeit in meiner eigenen gynäkologischen Praxis in Kassel.
Im Kontakt mit meinen Patientinnen wurde mir bewusst, wie schwer es medizinischen Laien oft fällt, echte Fachinformationen von Mythen und Internet-Panikmache zu unterscheiden. Ich habe es mir daher zur Aufgabe gemacht, fundiertes Wissen zu meinen Fachgebieten zur Verfügung zu stellen – in verschiedensten Formaten sowie auf nachvollziehbare und kurzweilige Weise.